Überwinternde Grosse Brachvögel am Bodensee im Banne von Frost und Nahrungsdruck

Am 01.02.2012 wurde das bis dahin recht milde Winterwetter abrupt durch nach Mitteleuropa einfliessende Polarluft abgelöst. Mit einem massiven Temperatursturz herrschen seither Temperaturen von -6° bis -16°C im Flachland, begleitet von einer starken, mit bis zu 7 Beaufort wehenden Bise.

Die Eisbildung der Seeufer liess nicht lange auf sich warten. Mittlerweile sind schon auch Teile des Bodensees zugefroren, wie z. B. am Untersee, und die Böden sind weiterhin schneebedeckt sowie pickelhart gefroren. Dies sind ausgesprochen schlechte Zeiten für Vögel, insbesondere auch für jene Gäste, welche das Winterhalbjahr im sonst klimatisch gemässigten Bodenseeraum verbringen.

Der Grosse Brachvogel z. B. hat in den letzten 50 Jahren parallel zur Klimaerwärmung als Wintergast am Bodensee wie auch an anderen Stellen in der Schweiz deutlich zugenommen. Dies wurde in den Jahren 1999-2003 mit einem bodenseeweiten Projekt mit wöchentlichen Zählungen an den Schlafplätzen des Brachvogels aufgezeigt.

Derzeit verbringen jedes Jahr mehr als 1000 Brachvögel den Winter am Bodensee. Tagesplätze zur Nahrungssuche und Schlafplätze liegen meist in unmittelbarer Nähe, damit möglichst wenig Energie für weite Flugstrecken verbraucht wird. Solche Orte liegen im Vorarlberger Rheindelta (mit bis zu 1200 Ind.), im Gebiet zwischen Arbon und Engach (grösster Schlafplatz der Schweiz mit bis zu 850 Ind.), im Ermatinger Becken/Wollmatinger Ried (mit bis zu 250 Ind.) und bei Moos-Iznang(mit bis zu 160 Ind.). Frost und Schneelagen beeinflussen das Verhalten der Brachvögel erheblich und erschweren die Nahrungssuche ganz massiv. Die Hauptnahrung der Brachvögel besteht aus Regenwürmern, die sich bei Frost in tiefere, selbst mit den langen Bogenschnäblen nicht mehr erreichbare Schichten zurückziehen.

Der durch Frostphasen verursachte Nahrungsdruck führt Brachvogel oft in Siedlungsnähe, wo die etwas wärmere Umgebung besseren Zugang zu Nahrungsquellen verspricht. So hielten sich am 04.02.2012 bei Arbon TG rund 95 Brachvögel mitten in einem Wohnquartier auf einer Wiese auf. Als einzige Nahrung konnten kleine Beutestücke von 1-2 cm Länge beobachtet werden, wie erwartet aber keine Regenwürmer. Dabei könnte es sich um die Larven der Kohlschnake (Tipulidae spec.) handeln, wie sie als Nahrung in verschiedenen Untersuchungen ebenfalls nachgewiesen wurde oder auf dem nebenstehenden Foto vom 04.02.2012 bei Arbon TG möglich erscheint. Die Larven der 2. Generation überwintert im Boden (siehe Kohlschnake).

Zum Schlafplatz (auf dem Eis) bei Frasnacht TG anfliegende Brachvögel.

Neben ausreichenden Nahrungsquellen sind auch in der Nähe liegende, ruhige und geschützte Plätze wichtig, an denen die Brachvögel gemeinsam die Nacht verbringen können. Die traditionell bekanntesten Schlafplätze liegen im Bereich der Mündung des Alpenrheins in den Bodensee, im Ermatinger Becken und im Flachwasser zwischen Arbon und Egnach. Die Vögel stehen dabei nicht selten bis zum  Bauchgefieder im Wasser. Das Aufsuchen dieser Schlafplätze steht in Abhängigkeit vom Wasserstand. Bei einem Wasserstand von über 340cm (Pegel Konstanz) sind die meisten Flachufer als Schlafplatz nicht mehr benutzbar. Dasselbe geschieht auch bei einer Vereisung der Uferzonen, so, wie das im Moment der Fall ist. Aussergewöhnlich ist daher die Annahme der Eisfläche als Schlafplatz, wie das bereits in früheren Wintern (z. B. 2003) bei Frasnacht-Egnach TG gesehen wurde. Am 04.02.2012 versammelten sich nach 17:15 Uhr 545 Grosse Brachvögel auf dem Eis bei Frasnacht, und dies bei Temperaturen um -8°C und einer sehr starken Bise von 4-6 Beaufort. Dabei kamen innerhalb einer Stunde kleinere und grössere Trupps von Westen und Osten tief angeflogen.

Über 500 Grosse Brachvögel nächtigen bei Frost und Bise auf dem Eis beim 'Frauenbad' Frasnacht TG